Agilität verstehen
Der Hype um den Begriff und die Flut an Veröffentlichungen über das Thema Agilität macht es nicht einfach, den Überblick zu behalten. Worum geht es eigentlich dabei? Scheinbar kommt man um das Thema nicht drum rum und gleichzeitig ist es bereits zu einem Reizwort geworden, dem man schon fast wieder überdrüssig geworden ist.
Fachkundigen Einschätzungen und Studien zufolge wird der Trend jedoch, sich in der Arbeitswelt agil zu verhalten bzw. Organisationen und Teams zwecks Überleben auf Agilität zu trimmen, anhalten.
Trotz der vielfältigen Definitionen, der unterschiedlichen historischen Herleitungen, einer Fülle von Konzepten und praktischen Unschärfen, kann Agilität als Fähigkeit einer Organisation verstanden werden, sich ihrer unbeständigen, komplexen und unvorhersehbaren Umwelt laufend anzupassen.[1]
Wie diese notwendigen Anpassungsleistungen zu geschehen haben, darüber gehen die Meinungen (natürlich) weit auseinander. Praxisbeispiele gibt es mittlerweile genug. Nur fällt auf, dass kaum eines als Paradebeispiel dienen kann, denn eine agile Organisation müsste in Bezug auf Strukturen, Prozesse, strategische Kundenorientierung, Mitarbeiterkultur, HR und Führung Agilität an den Tag legen. Es lohnt sich also im Einzelfall genau hinzuschauen, welche Dimension der Organisation wie weit in Richtung Agilität entwickelt worden ist.
Und was zudem auffällt: Klassische Organisationen experimentieren immer mehr mit agilen Prozessen und Strukturen. Was die Führung betrifft, scheinen agile Führungsmodelle meist nur für einzelne Abteilungen oder Teams zu gelten. Und im HR-Bereich ist Agilität tendenziell eine Absage an Changemanagement und entsprechende Programme. Und mit Blick auf Qualität wird zunehmend klar, dass vor dem Hintergrund einer agilen Entwicklung Qualitätsmanagement und Innovationsmanagement immer mehr zusammenfallen.
Es wird ebenfalls klar, dass lediglich der Einsatz von agilen Methoden und Techniken zwecks Effizienzgewinnen zu kurz greift:
Agile Anpassungsleistungen verlangen vom Individuum ein entsprechendes Mindset bzw. Haltungen, die u.a. von Offenheit, Respekt und Mut geprägt sind.
Agile Werte zu verankern und zu pflegen, ist eine Aufgabe von Kulturentwicklung. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass beraterische Entwicklungsansätze eine agile Haltungsentwicklung zu stützen versuchen. Die Entwicklung von nicht-linearem Denken und einer Bewusstheit, Veränderungen wachsam zu erspüren, sind dabei erst angedacht.
Welchen Preis und Folgekosten die Umwälzung von Anpassungsdruck aus der Umwelt in agile Programme (!), für Menschen und Gruppen hat, wird ebenfalls erst erforscht. Die Etablierung von neuen Werten und Kollaborationskulturen braucht jedenfalls gerade bei existentiellen Bedrohungslagen und Unsicherheit von Organisationen, verantwortliche Führungskräfte, die gruppendynamische Effekte und Sicherheitsbedürfnisse der Mitarbeitenden im Auge haben.
Agilität bedeutet dann letztlich Mitarbeiterorientierung und eine Führung, die weder Machtspiele, manipulativen Druck und unnötige Kontrollen benötigt, sondern auf Dialog, Feedback und Vertrauen aufbaut.
Dann können sich im agilen Umfeld kreative Lernkulturen entwickeln, die einen offenen Umgang mit gemachten Fehlern pflegen und respektvolles Konfrontieren kultivieren.
Ein Beitrag von Jean-Paul Munsch
Vorstandspräsident bso
Literatur
[1] Vgl. Weber, Isabel et al. (2018): Wissenschaftliche Grundlagen für ein agiles Reifegradmodell; in: Häuserling, André (hg.): Agile Organisationen. Haufe: Freiburg, München, Stuttgart, S. 28f.
Der Volksmund sagt:
„Jedes Ding zu seiner Zeit“.
Und:
Göttin, gib mir die Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Mit herzlichen Beraterinnen-Grüssen aus dem leicht bewölkten Zürich
Marianne Geering
Ja, danke Marianne! Ich hoffe, dass mein Blogeintrag einen kleinen Beitrag zu dieser Unterscheidung leisten kann. Selber erlebe ich das in Organisationen oft als auch als schwierig: Wo ist die Grenze? Was akzeptiere ich als gegeben? Und wo lohnt es sich zu kämpfen, um etwas zu ändern?
Danke für den kurzen aber wertvollen Streifzug durch das Thema Agilität und die weiterführenden Links.
In der oder in einer Diskussion über ein Thema ist es für mich immer wichtig den „Begriff“ zu definieren, d. h. in welchen Kontext er augenblicklich gesetzt wird. Als Kommunikationstrainerin verwirren mich alle neuen Trendausdrücke zumal sich das Wort aus Anfangsbuchstaben von vier Funktionen ergibt: A-Adaption, G-Goal Attainment, I-Integration und L-Latency. Agilität in der öffentlichen Diskussion steht für mich mehr für eine Methode (z. B. SCRUM) zur Komplexitätsreduzierung. Der Begriff „Agil“ bedeutet allerdings für viele umgangssprachlich beweglich sein, in Bewegung zu gehen, gewandt, vital. Ob Agilität auch bedeutet sich anzupassen würde ich manchmal in Frage stellen, denn vielleicht ist gerade ein „sich nicht anpassen“ für’s Überleben sinnvoller. Agilität braucht es auch, gegen den Strom zu schwimmen, denn ich bin überzeugt, reines anpassen sichert nicht immer das Überleben. Beweglichkeit per se, das ist in allem die Grundvoraussetzung für das (soziale wie wirtschaftliche) Handeln.
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