Alte Rollen, neue Rollen in der Beratung
Das Klären von Rollen gehört zum beraterischen Handwerk und zum Alltag einer Beratungsperson. Sei es, dass wir mit Führungskräften zu tun haben, die ihre Rolle entwickeln wollen; sei es, dass wir als Beratungspersonen selber unsere Rolle(n) in Intervision oder eigener Supervision reflektieren. Nun beobachten wir im Arbeitskontext Entwicklungsprozesse der VUCA-Welt, die von Beschleunigung, zunehmender Automatisierung und disruptiven Elementen geprägt sind. Die Arbeitswelt ihrerseits nimmt IT-Methoden auf und versucht mit agilen Methoden und Vorgehen auf die Prozesse, von denen sie selber Teil davon ist, zu reagieren. Vor diesem Hintergrund formuliere ich folgende Hypothese:
In der Arbeitswelt entstehen neue, hybride und komplexe Rollenbilder, die auch Beratungspersonen vor Herausforderungen stellen.
In einem Führungscoaching ging es kürzlich genau darum: die unterschiedlichen Rollenprofile herauszuarbeiten, die die Führungsperson über die nächsten Jahre entwickeln und zum Teil ablegen muss, damit der Organisationsentwicklungsprozess gelingt. Es waren in diesem Fall die Rolle des Managers, die Rolle des Ideengebers und die Rolle des Coaches. In der Arbeit mit dem Coachee ging es dann auch darum seine Selbstwahrnehmung bewusst zu machen und zu reflektieren:
- Was glaubt die Führungsperson, was diese Rollen von ihr erwarten?
- Was glaubt sie, was Andere von den jeweiligen Rollen erwarten?
- Was sagen diese Rollen über die Wichtigkeit, die Unabkömmlichkeit, den Status und den Einfluss der Führungsperson aus?
- Was glaubt sie darüber, was sie legitimiert, diese Rollen einzunehmen und zu wechseln?
- Was wird sie legitimieren, wenn der Mensch aus seiner Rolle heraustritt und seinen/ihren Kolleg*innen auf Augenhöhe begegnet?
Mögen einige dieser Beratungsaufgaben in der Rollenentwicklung einer Führungsperson zum Alltag gehören, nehme ich doch ein zunehmendes Bedürfnis wahr, Rollen bewusst zu machen, Rollen bewusst zu kommunizieren, neue Rollen zu entwickeln und alte Rollen bewusst loszulassen und/oder zu pflegen.
All dies verlangt von uns Beratungspersonen ein waches Bewusstsein und die Fähigkeit, die schnell ablaufenden Veränderungen zu spüren; Nicht-Linearität zumindest in Betracht zu ziehen und Paradoxien auszuhalten; Systeme als resonanzfähig und selbstorganisiert zu verstehen und Veränderung als kontinuierlichen Adaptionsprozess zu begleiten.
Welche Erfahrungen Beratungspersonen mit neuen und alten Rollen machen und ob sich diese Erfahrungen auf die Rolle von Beratungspersonen auswirken, interessiert mich sehr. Was sind Eure Erfahrungen?
Ein Beitrag von Jean-Paul Munsch
Vorstandspräsident bso