Coaching mit Gruppen im virtuellen Sitzungszimmer
Claudia und Roman sind schon im virtuellen Sitzungszimmer. Michael, Rosmarie und René klopfen an und warten, dass ich sie «eintreten lasse». Chantal und Marianne werden vermutlich etwas später kommen. So sieht meine Zoom-Session um 17.01 h aus: Fünf von sieben Gruppenmitglieder sind da. Ich selber habe die Zoom-Session um 16.50 h eröffnet, bin aber schon um 16 h am Übertragungsort eingetroffen und habe alles vorbereitet. An solchen Tagen will ich nichts dem Zufall überlassen. Am Übertragungsort schaffe ich mit einem Bild aus der Natur einen ruhigen Hintergrund, da dieser während langer Zeit sichtbar sein wird. Die Zimmerausleuchtung muss so ein, dass sie bis in die Nacht hinein gleichbleibt.
Für diese Gruppe ist es das erste Coaching im virtuellen Sitzungszimmer. Die Teilnehmenden kennen sich untereinander persönlich und wir schauen schon einen zweijährigen Begleitprozess zurück. Dennoch ist eine Grundnervosität bei allen zu spüren. Im Vorfeld habe ich mit den Gruppenmitgliedern kommuniziert und sie gefragt, ob wir die Sitzung verschieben wollen oder sie im virtuellen Sitzungsraum durchführen wollen. Sie haben sich untereinander besprochen und liessen sich darauf ein. Allerdings gab der eine oder die andere zu bedenken, dass sie technisch nicht so versiert seien. Umso mehr will ich als Begleitperson in diesem Prozess sicher sein.
Während wir noch auf zwei Teilnehmende warten, führe ich etwas Small Talk mit den Anwesenden. Es wird gemeinsam gelacht und das Eis ist gebrochen. Ein Teilnehmender macht noch schnell einen Tee. Um 17.05 h sind dann alle online und haben sich untereinander auch begrüsst. Dann sperre ich die Zoom-Session, so dass kein Aussenstehender mehr reinkommen kann, auch wenn jemand irgendwie an die ID-Nummer und an das Passwort gekommen wäre. Für das «Ankommen» habe ich gute 15 Minuten eingeplant und darauf geachtet, dass sich die Teilnehmenden ausgiebig untereinander begrüssen können.
Die Session eröffne ich offiziell mit einem Zitat einer Gruppenteilnehmerin und stimme so auf unsere aktuelle Tätigkeit ein. Schon kommen positive Rückmeldungen von den Teilnehmenden, dass sie sich daran erinnern und wir knüpfen an diesem Zitat mit der Befindlichkeitsrunde an. Für unsere Zoom-Sitzung gebe ich einige Regeln bekannt:
- Im Chat keine vollen Namen oder Orte benutzen.
- Die Session nicht aufzeichnen.
- Keine Fotos oder Screenshots in den SNS (Social Network Services) veröffentlichen.
- Auch mache ich die Teilnehmenden darauf aufmerksam, dass der Chat nach Ende der Session nicht gespeichert wird.
- Den Chat nutzen wir also nur für Statusberichte wie z.B. afk (away from keyboard), ba (back again) oder ähnliche Informationen.
Die Themensammlung des Abends erfolgt per Zuruf und ich führe ein Worddokument, das für alle über «Bildschirm teilen» sichtbar ist. Die Fragestellungen der Teilnehmenden können so für alle sichtbar verbessert, verfeinert oder gar umformuliert werden. Die Reihenfolge, Gewichtung und Abstimmung der Fragestellungen verläuft unter den Gruppenmitgliedern sehr unkompliziert. Jedes Gruppenmitglied gibt seine Präferenzen an und ich notiere die Stimmen direkt ins Worddokument. An diesem Abend werden wir zwei Fragestellungen behandeln können, die restlichen Fragen bleiben im Themenspeicher im Worddokument für das nächste Mal.
Sind die zwei Topics bestimmt, definieren wir das Vorgehen für die verbleibende Zeit. Für das erste Thema spricht sich die Gruppe aus, in Zweier- und Dreiergruppen zu arbeiten. Als Host eröffne ich drei Breakout-Sessions und weise die Teilnehmenden zufällig den Gruppen zu. Diese Breakout-Räume kann ich nacheinander als Beobachterin besuchen und in die Gespräche reinhören. Schon aus vorigen Sitzungen wissen die Gruppenmitglieder, dass ich mich gerne für einige Momente hinzusetze ohne zu kommentieren oder zu intervenieren. Fange ich eine Irritation oder eine Störung auf, so thematisiere ich dies später je nach Notwendigkeit im Plenum, in der Kleingruppe oder im persönlichen Austausch. Die Teilnehmenden machen sich Notizen zu möglichen Massnahmen, die wir dann im Plenum zusammentragen.
Nach Ablauf des ersten Breakouts sammeln wir die Ergebnisse im vorigen Worddokument und erarbeiten im Gespräch einzuleitende Massnahmen. Das Worddokument wird also zum Protokoll. Wir achten nach wie vor darauf, dass Orte, Organisationen und Personen anonymisiert werden und nicht rückverfolgbar sind. Nach dem ersten Durchlauf entscheiden wir, eine 10minütige Pause zu machen. Die Teilnehmenden verlassen die Session nicht, sondern stellen ihre Mikrofone auf stumm und die Kamera aus. Pünktlich sind alle wieder zurück und wir bearbeiten das zweite Thema. Ähnlich wie bei der ersten Fragestellung teile ich die Gruppenmitglieder diesmal auf zwei Breakout-Session auf. Im Zoom habe ich als Host die Möglichkeit zu wählen, ob ich die User zufällig oder bewusst zuordnen will. Diese Funktion ist meiner Erfahrung nach unkomplizierter als in anderen Videokonferenz-Programmen.
Um 19.15 h leite ich die Feedbackrunde ein. Hierfür habe ich Fragen zum erlebten Prozess, zur Moderation und zur Technik vorbereitet. Auch diese Antworten sammle ich im für alle einsehbaren Protokoll.
Nach dieser ersten Zoom-Session sind die Teilnehmenden überrascht, wie schnell sie sich mit der Technik zurechtgefunden haben. Sie geben auch zu, dass sie die Sitzung am Bildschirm schneller ermüdet hat, weil die Bewegung fehlt. Sie können sich jedoch vorstellen, zwischendurch auf die technischen Hilfsmittel zurückzugreifen, um schneller eine Sitzung einberufen zu können.
Nach nun gut zwei Monaten Online Coaching habe ich einige Learnings, die gerne mit meinen Berufskolleg*innen teile:
- Genügend Vorbereitungszeit einplanen. Zimmer durchlüften, Bereitstellen der Materialien und Verpflegung bleiben wie gehabt. Hinzu kommt die technische Vorbereitung wie der Versand der Einladung via Mail mit Session-ID und Passwort, Aufbereitung der nötigen digitalen Dokumente und Start aller elektronischen Hilfsmittel.
- Klienten brauchen Zeit, um digital anzukommen. Für die Begrüssungs- und Befindlichkeitsrunde mehr Zeit einplanen.
- Die persönliche Nähe läuft nur über den visuellen und teilweise über den auditiven Sinneskanal. Die Arbeit mit Bildern kann dazu verstärkt werden. Hierfür Bilder verwenden, die rechtlich nicht geschützt sind. Für meine Arbeit habe ich eine Bilddatenbank eröffnet, die ich ständig erweitere.
- Stille und Schweigen werden mächtiger. Diese Interventionen noch bewusster einsetzen. Die Menschen tendieren in virtuellen Sitzungen schneller zu sprechen und halten die Stille schwerer aus, weil die körperlichen Bewegungen und das Drumherum fehlt. Als Coach setze ich die Intervention Schweigen und langsames Sprechen noch bewusster ein.
- Bewusst mehr Pausen einlegen, da die Sitzung am Bildschirm schneller zu Ermüdungserscheinungen bei den Gesprächspartnern führt.
- Für die Arbeit mit den Klienten habe ich passwortgeschützte Seiten auf meiner Homepage eröffnet. Da sehen sie Bilder oder Fotos aus unserem bisherigen Prozess. Das Protokoll wird dort hochgeladen und sie können es einfach und sicher selber downloaden. Also gilt: pro Arbeitsgruppe oder pro Klient*in eine eigene passwortgeschützte URL eröffnen.
Für meine Berufskolleg:innen habe ich zudem eine Homepage mit kleinen Interventionen aufbereitet, wie die persönliche Nähe trotz räumlicher Distanz geschaffen werden kann: https://caleidoscoop.ch/methodenperlen
Nach dieser Sitzung haben die Klienten eine Postkarte bekommen – physisch mit der Post – mit den Worten: «Danke für Euer Engagement! Ich freue mich auf unser Wiedersehen!»
Über ihre Reaktionen habe ich mich sehr gefreut und es war ein richtiger Aufsteller, dass sie sich so gut in dieses neue Setting eingeben konnten.
Ein Beitrag von Angela Taverna
Mitglied bso
Literatur und Lese-Empfehlung
Dundler Sandra
Für Entdecker: Ihr Weg zum Online-Coach
ISBN 978-3-95891-064-5
Verlag managerSeminare
Liebe Angela
Vielen Dank für das Teilen deiner Erfahrungen mit Online-Coaching in und mit Gruppen. Genau so habe ich es auch erlebt mit Gruppen, die sich über Präsenzmeetings bereits kannten. Anders ist es in Fernseminaren mit grösseren Gruppen, die sich untereinander kennen, denen ich als Coach aber zum ersten Mal im virtuellen Raum begegne. Die Herausforderung in diesem Kontext ist um so grösser „persönliche Nähe trotz räumlicher Distanz“ zu schaffen.
Herzliche Grüsse, Silvio Sgier
Danke fürs Teilen. Gut nachvollziehbar beschrieben. Vorläufig noch empfinde ich die Vorbereitung auf Zoom-Gruppen anspruchsvoller. Du beschreibst, dass du die auditiv beigesteuerten Beiträg der Tn direkt ins Worddokument schreibst. Werde ich auch mal austesten. Habe bisher gute Erfahrungen gemacht, dass ich ein Worddokument mit z.B. einer Leitfrage öffne und die Tn dann via ‚Whiteboard-Kommentar‘ selber ihre Gedanken notieren. Schön, weil dadurch die Tn selber engagiert sind und die Beiträge nicht über mich ins Dokument fliessen müssen. Etwas komplizierter weil das dann (nur) als *.jpg gespeichert werden kann und somit dann für das weitere Nutzen (z.B. als Protokollinhalt) nochmals Bearbeitung braucht. – Herzliche Grüsse Ueli
Halli hallo! Ja… eine neuer Erfahrung, die ich gerne gemacht habe. Um die Coschings noch spannender zu machen, setze ich auch digitale Tools ein. (Zb. Padlet.com oder Mentimeter.com uvm). Auch können die TN in der Break out Session selber ein Word Dokument oder eine Power Point erstellen und dies dann über den eigenen Bildschirm mit der ganzen Gruppe teilen. Technisch ist das im Zoom sehr einfach! Wichtig: weniger ist mehr… weiterhin viel Spass!!