Motivationskrise?
Der Umgang mit den Tools für Videokonferenzen geht mittlerweile flott von der Hand; auch der Umgang mit technischen Problemen: vor allem Gewöhnungssache. Und auch die Freude am Wiedersehen von Kolleginnen und Kollegen am Bildschirm ist da. Und ja: Mir fehlen der Händedruck, die Umarmung und der Blick in die Augen des Gegenübers. Und so weicht mit jeder neuen Einladung, mit jedem Link einem Meeting beizutreten, die Freude etwas mehr. Aber es ist nicht nur die direkte Begegnung und die physische Nähe, die ich vermisse. Stimmungsschwankungen und Motivationsschwierigkeiten schleichen sich ein. Oder sind es schon depressive Verstimmungen, die ich mit mir herumschleppe?
Zukunftsforscher wie Matthias Horx erinnern uns daran, dass es gut sei, vom Ende her zu denken und sich die Post-Corona-Zeit vorzustellen. Aber selbst dafür scheint mir die Motivation zu fehlen.
Und ich stelle mir vor: Wer jetzt ums finanzielle, psychische und körperliche Überleben kämpft, mag wohl auch nicht weiter in die Zukunft hineindenken und -fühlen. Froh ist, wer sich selber beruhigen kann.
Was läuft da genau ab? Wie kann ich meine Stimmungsschwankungen verstehen. Da hilft mir das Persönlichkeitsmodell von Julius Kuhl. Das neuropsychologische Zusammenspiel von Absicht, Handlungsroutinen, Erkennen von Abweichungen und Erfahrung scheint gestört. Und das schlägt auf die Selbstmotivation zurück. Und diese ist davon abhängig, dass eine positive Zielvorstellung gebildet und Problemlösungen gefunden werden können.
Hat die fehlende Selbstmotivation auch damit zu tun, dass immer weniger klar ist, welches Problem eigentlich gelöst werden soll? Dies könnte ein Hinweis sein auf die gedämpfte positive Stimmung und den fehlenden Antrieb.
Mit zunehmender Dauer der Corona-Krise wird auch immer klarer, dass eine positive Zielvorstellung sich nicht in einem Abgleich von Vorher und Nachher erschöpft, weil das Nachher nicht mehr wie das Vorher sein wird.
Natürlich werden wir diese Krise bewältigen und wir haben ja auch schon einiges aus der Krise gelernt! Neben der Kompetenz zur Selbstberuhigung hilft es, sich in «emotionaler Dialektik» zu üben und zwischen den emotionalen Zuständen zu wechseln: sich bewusst auch den unangenehmen Zuständen und Erfahrungen zuzuwenden, um dann wieder in freudvollere Zustände zu wechseln. Gerade dieses Wechselspiel hilft, ins Handeln zu kommen, damit Absichten ausgeführt und Ziele erreicht werden können.
Wenn wir immer wieder mal schlecht selbstmotiviert agieren, mag es also daran liegen, dass unsere Aktivitäten nicht zum krönenden Abschluss gebracht werden können. Es mag aber auch daran liegen, dass vielleicht gerade im Arbeitskontext fehlende Identifikation und mangelnde Passung mit den eigenen Werten sichtbar wird. Dann taucht die Motivationsfrage wieder auf: Was ist uns als Menschen wirklich wichtig — jetzt, und in Zukunft?
Eine Antwort habe ich bei Bertold Brecht gefunden. Er schrieb an die Nachgeborenen, dass es darum gehe, achtsam, geduldig und mit Empörung den Boden für Freundlichkeit zu bereiten, dass der Mensch dem Menschen ein Helfer sei.
Ein Beitrag von Jean-Paul Munsch
Vorstandspräsident bso
Herzlichen Dank Jean-Paul
Passende Beschreibungen im richtigen Moment. Das Ungewisse ist für viele ein grosser Motivationsfresser! Beste Grüsse Ulrike
Vielen Dank für die Gedankenanstösse, Jean-Paul. Die Situation wäre sicher eine gute Gelegenheit für das Kollektiv, „Purpose“ auf neue Ebenen zu heben und zu klären. Meine Hoffnung: je klarer der Purpose, desto grösser die Resilienz, desto besser kann der Fokus auf der „Krise als Chance“ liegen… die Hoffnung stirbt zuletzt… (;-)… bleib(t) gesund!
Lieber Jean-Paul … Danke für deinen Blog zur richtigen Zeit
Vielen Dank für die passenden Gedanken in Zeiten des Wandels!