Paradoxien im Dialog der Beratung
Vor ein paar Wochen habe ich eine Dialogkonferenz besucht, die durch die Abwesenheit von Workshops und Referaten auffiel. Stattdessen dialogische Formate und thematische Verknüpfungen über drei Tage hinweg in sich verbindenden kleineren und grösseren Dialoggruppen.
Nun ist in manch einem Beratungskonzept von einer dialogischen Haltung die Rede und Beratungspersonen versichern, dass sie auf Augenhöhe und dialogisch beraten.
Hier ist darauf hinzuweisen, dass in Beratungskontexten der dialogischen Symmetrie meist eine funktionale Asymmetrie gegenübersteht. Diese Asymmetrie und die Symmetrie bilden in der Beratungsbeziehung eine Spannung, weil unterschiedliche Rollen mit ungleich verteilten Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten eingenommen werden: Die Beratungsperson ist für den Prozess verantwortlich, nicht das Klientensystem; der Coach hat die Methodenkompetenz, nicht der Coachee; die Supervisorin führt, nicht das Team. Diese gut sichtbare Paradoxie verschleiert den Umstand, dass beide Pole der Paradoxie als gegeben angenommen und selbstverständlich gelebt werden.
Der als funktionale Asymmetrie bezeichnete Pol, wird typischerweise in Beratungsausbildungen gelehrt, trainiert und reflektiert. Für den anderen Pol der dialogischen Haltung, wird oft das «dialogische Prinzip» des Philosophen Martin Buber herangezogen. Buber schreibt:
„Im echten Gespräch geschieht die Hinwendung zum Partner». Und weiter: «Jeder Sprecher meint hier den Partner …als diese personhafte Existenz. … Der Sprecher nimmt aber den ihm so Gegenwärtigen nicht bloss wahr, er nimmt ihn zu seinem Partner an, und das heisst: er bestätigt … dieses andere Sein“.
Und fährt im nächsten Abschnitt fort:
„Des weiteren muss, wenn ein echtes Gespräch entstehen soll, jeder, der daran teilnimmt, sich selber einbringen. Und das bedeutet, dass er willens sein muss, jeweils zu sagen, was er zu dem besprochenen Gegenstand im Sinn hat. Und das wieder bedeutet, dass er jeweils den Beitrag seines Geistes ohne Verkürzung und Verschiebung hergebe“.[1]
Um die Kraft der nach Reinhard Fuhr skizzierten Paradoxie[2] zu entfalten, braucht es genau die Stärke des dialogischen Pols. Wie steht es um diese dialogische Kompetenzen des Anerkennens, Buber spricht von «bestätigen», und dem «sich selber einbringen» im Dialog?
Erfahrungsgemäss fürchten Menschen entweder, zu viel Raum einzunehmen oder schaffen es im Gegenteil nicht, sich «ohne Verkürzung und Verschiebung» einzubringen. Beides sind Muster, die im Dialog herausgefordert werden, denn im Dialog bin ich mit mir und meinen Glaubenssätzen konfrontiert und lerne, das zu sagen, was ich «im Sinn» habe. Dann kann ko-kreatives Miteinander und Neues entstehen. Da die Möglichkeiten, dialogische Kompetenzen zu üben, in einer Debatten- und Diskussionskultur des talking nice and tough eher selten sind, erstaunt es auch nicht, dass soziale Neuerungen den technischen hinterherhinken. An der erwähnten Konferenz konnte man über drei Tage hinweg in diesen Buberschen «Atemraum des echten Gesprächs» eintauchen, um einen Geschmack einer Dialogkultur zu bekommen. Und weil Erziehung und Schule öfter mal Dialog verhindern, braucht es Räume, in denen eine dialogische Haltung als Qualität des Menschseins und als Beratungskompetenz trainiert und kultiviert werden kann.
Ein Beitrag von Jean-Paul Munsch
Vorstandspräsident bso
Literatur
[1] Buber, M. (1979): Das dialogische Prinzip. Heidelberg: Schneider, S. 293f.
[2] Fuhr, R (2003): Struktur und Dynamik der Berater-Klient-Beziehung. In: Krause, Ch./ Fittkau, B./ Fuhr, R. /Thiel, H.-U. (Hrsg.): Pädagogische Beratung: Grundlagen und Praxisanwendung. Paderborn: Schöningh, S. 39.
Lieber Herr Munsch,
Ihr Artikel spricht mich an. Wenn ich ihn richtig verstehe beinhaltet die dahinterstehende Hypothese, dass Kommunikation gut läuft, wenn Menschen Rollenklarheit und Authentizität beherrschen. Das reicht in meinen Augen nicht. Meine Erfahrung ist die, dass wenn Inhalte oder Die Atmosphäre im Gespräch Widerstand oder sensible Aspekte an triggert und damit nicht achtsam oder klärend umgegangen werden kann, dies zu Unterbrüchen oderBeziehungsabbrüchen führen kann. Die Frage, die sich mir stellt ist und wie gelingt es dem Coach oder Supervisor seinem coachee oder Supervisee Handwerkszeug an die Hand zu geben, mit dem dieser sich regulieren, sich sicher fühlen und sich anders beziehen kann.
Mein Blitzlicht dazu aus dem Tram von unterwegs und danke für Ihren interessanten Artikel.
L.G. Patricia Matt
Ja, genau! — Augenhöhe und dialogisches Vorgehen (so sehr ich die Qualitäten des Dialogs in anderen Settings schätze und für nötig erachte!) reichen in der Beratungsbeziehung nicht. Es braucht eine Beratungsperson, wie Sie erwähnen, die einen sicheren Rahmen für den Coaches bieten kann. Das kann der Coaches nicht und ist auch nicht seine Aufgabe. Dadurch entsteht die Asymmetrie und die Paradoxie im Geschehen.