Überlebensstrategien und Sinnfragen
In diesen Zeiten tauchen wiederholt und zunehmend Themen auf, die die berufliche und wirtschaftliche Existenz betreffen. Die Auswirkungen der zweiten Welle des Coronavirus zeitigen wirtschaftliche Folgen, die für mehr und mehr Unternehmen, Kleinbetriebe und Selbständige zur Frage des Überlebens werden: Wie schaffe ich es als Selbständiger mich zu behaupten? Was können wir tun, um als Betrieb fortzubestehen? Braucht es jetzt eine strategische Neuausrichtung, die unter Zeitdruck und im Überlebensmodus entwickeln werden will?
Als Beratungspersonen versuchen wir einen realistischen Blick zu behalten und trotzdem Perspektiven zu entwickeln. Das ist eine grosse Herausforderung — für alle Betroffenen; seien es Beratungspersonen, die helfen können; seien es Menschen und Unternehmen, die um ihre wirtschaftliche Existenz kämpfen.
Erscheinen da Sinnfragen und humanistische Perspektiven der Selbstentfaltung nicht deplatziert?
Interessieren Sinnfragen denn überhaupt noch, wenn ich uns Überleben kämpfen muss? Die einfache und klare Antwort ist: Nein. — Das zeigt uns, bei aller Kritik an derselben, die Maslowsche Bedürfnispyramide oder wie es Bertold Brecht berühmt formulierte: Erst kommt das Fressen, dann die Moral.
Das eine gegen das andere auszuspielen, macht trotzdem keinen Sinn, weil es sinnvoll ist, sich um das Überleben zu kümmern. Denn wir wollen nicht bloss überleben, sondern leben, auch in und mit der Pandemie.
Leider gibt es kaum Hinweise, dass diese grosse Krise bald vorbei sein wird. Und dass der Blick in die Zukunft schnell täuschen kann, ist schon fast eine Binsenweisheit. Aus der Resilienzforschung wissen wir, wie wichtig eine Perspektive ist, die nicht von Angst, sondern vom Herzen genährt ist. Die individuelle Sinnfindung rückt dann ins Licht: die kleinen Freundlichkeiten beim Einkauf, die Höflichkeit beim Anstehen und die lebendigen Blicke, denen wir unmaskiert, weniger Beachtung geschenkt haben.
Merk-würdigerweise tauchen genau in diesen Tagen alte und neue Sinnfragen auf. Es sind Fragen, die gerade jetzt nach Antworten drängen: Wie wir leben wollen; welche Arbeit wie entlöhnt wird; welche (globale) Verantwortung wir haben; wie eine zivilisierte Marktwirtschaft aussehen und wie ein nachhaltiger und am Gemeinwohl orientierter Lebensstil aussehen könnte. Auch das sind letztlich existenzielle Fragen.
Ein Beitrag von Jean-Paul Munsch
Vorstandspräsident bso