Zukunft der Beratung
„Prognosen sind schwierig – besonders, wenn sie die Zukunft betreffen“. Dieses Karl Valentin zugeschriebene Bonmot bringt ein reales Problem auf den Punkt: Wie können wir die Zukunft vorhersagen? Es ist schwierig genug, die Gegenwart zu erklären! Eine Methode, um sich ein möglichst breit abgestütztes Bild von der Zukunft zu machen, besteht in der sogenannten Delphi-Befragung. Hierzu werden in mehreren Runden Experten aus verschiedenen relevanten Bereichen systematisch befragt und die Ergebnisse in einem iterativen Prozess weiter verarbeitet.
Erfreulicherweise ist kürzlich eine Studie[1] von C. Schwermuly, C. Grassmann, S. Ackermann und R. Wegener erschienen, welche sich der Frage nach der Zukunft des Workplace-Coachings widmet. Die befragten Expert:innen bestanden aus Coaches, HR-Verantwortlichen sowie Vertretungen von Coaching-Verbänden und Ausbildungsinstituten. Die Aussagen der Fachpersonen aus ihrer jeweiligen Sicht wurden zu 15 Szenarien zusammengefasst. In einem nächsten Schritt konnte sich eine erweiterte Gruppe dazu äussern, ob diese Szenarien heute und in Zukunft verbreitet sein würden und ob die entsprechenden Entwicklungen erwünscht wären. Auf diese Weise kommen dank der breit aufgestellten Teilnehmenden viel praktisches Wissen und viel Intuition zusammen und die erhobenen Ergebnisse sind auf jeden Fall interessant zu prüfen.
Als Berufsverband für Coaching, Supervision und Organisationsentwicklung ist es uns ein wichtiges Anliegen, diese Szenarien ernst zu nehmen und allfällige Auswirkungen auf die Beratungspraxis zu antizipieren und in der Folge hilfreiche Informationen zur Verfügung zu stellen sowie Unterstützung für unsere Mitglieder zu gewährleisten.
Doch nun zu den Resultaten:
Am meisten verbreitet werden gemäss Studie im Jahre 2030 die folgenden Szenarien sein:
- Moderne OE-Kompetenzen werden in der heutigen VUCA-Welt[2] immer wichtiger, so werden Themen wie die Selbststeuerung von Organisationen sowie unterschiedliche Ansätze und Methoden, welche mehr Agilität zum Ziel haben, eine immer wichtigere Rolle in der Beratung spielen.
- Neben diesen inhaltlichen Schwerpunkten wird auch eine grosse Flexibilität der Beratungsformate erforderlich sein (virtuell vs. real, online vs. offline etc.).
- Das prozessorientierte Beratungsformat Coaching wird vermehrt mit Consulting-Anteilen ergänzt (dies wird als Komplementärberatung[3] bezeichnet).
- Gleichzeitig werden persönliche Themen vermehrt Gegenstand auch im Business-Coaching, als Beispiele seien hier Work-Life-Balance, Partnerschaftsprobleme, persönliche Krisen oder Sinnfragen erwähnt.
Dass die digitalen Formate inkl. standardisierter Online-Kurse oder AI-unterstützter[4] Beratungsleistungen massiv zulegen werden, ist nicht erst seit der Covid 19-Pandemie offensichtlich. Konsequenterweise werden die klassischen Eins-zu-eins-Beratungen von Seiten der Firmen vermutlich weniger nachgefragt werden, insbesondere auch aus Kostengründen. Sie werden jedoch als luxuriöses (?), massgeschneidertes Beratungsangebot mit dem Ziel eines gelingenden Lebens weiterhin ihre Berechtigung haben.
Ob uns diese Entwicklungen gefallen oder nicht, sei hier dahin gestellt. Es ist sicher interessant, sich zu überlegen, wie man sich in diesem Umfeld positionieren soll. Möglicherweise entstehen auch neuartige Formate, welche auf die Herausforderungen der Zukunft flexible und kreative Lösungsansätze präsentieren können.
Interessierte können die Studie hier anfordern.
Gerne frage ich Sie, geschätzte Kolleg:innen, wie Sie die Zukunft der Beratung einschätzen? Mit welchen Chancen oder Herausforderungen werden wir in unserer Profession konfrontiert werden? Was bedeutet das für Sie als Coach in der Umsetzung? Teilen Sie der bso-Community Ihre Meinung mit. Wir freuen uns über Ihren geschätzten Kommentar!
Mirjam Schmidli, Vorstandsmitglied bso
[1] Carsten C. Schermuly, Carolin Graßmann, Silvano Ackermann & Robert Wegener (2021) The future of workplace coaching – an explorative Delphi study, Coaching: An International Journal of Theory, Research and Practice, DOI: 10.1080/17521882.2021.2014542
[2] VUCA = Volatilität – Unsicherheit – Komplexität – Ambiguität (Mehrdeutigkeit)
[3] Königswieser R. und Exner, A. (2006): Systemische Intervention. Architekturen und Designs für Berater und Veränderungsmanager. Klett-Cotta, Stuttgart.
[4] AI = Artificial Intelligence (Künstliche Intelligenz)
Für mich als Coach lautet die zentrale Frage: wie ich in dieser ‚neuen Realität’ mit meinen ‚alten Tools‘ und meiner ‚alten Berufserfahrung‘ mich à jour halte – zum Beispiel Scrumprozesse reflektieren helfe oder Teams in agile Organisationen begleite. Das bisherige Führungsverständnis hat zwar ausgedient, sich aber nicht gänzlich verändert. Kurz: wie coache ich agil?
Katja Müggler