Zur Professionalisierung der Beratung und der Funktion der Verbände
Professionalisierung bezeichnet generell den Prozess von privaten oder ehrenamtlichen zu einem bestimmten Beruf erbrachten Dienstleistungen. Professionalisierung führt über die Entwicklung eines Berufs zur Profession. Traditionell zählen nur wenige Berufe, wie Ärzt*innen oder Jurist*innen auch als Profession. Der Beratungsberuf befindet sich auf dem Weg vom Beruf zur Profession.[1]
Ausgehend von der etymologischen Bedeutung von lat. «profiteri» bzw. «professio», also «öffentlich bekennen» bzw. «eine Position beziehen» liegt jeder Profession eine gesellschaftliche Bedeutung inne. Es stellt sich also die Frage, welche Bedeutung der Beratung in der heutigen Gesellschaft zukommt.
Bei der Beratung erschliesst sich diese über die Bestimmung der Gesellschaft als «reflexive Gesellschaft».[2] Vor diesem Hintergrund liegt die Bedeutung von Beratung im Zurverfügungstellen von Angeboten, die reflexive Prozesse entwickeln helfen, unterstützen und begleiten. Dies kann auf der individuellen Ebene, der Gruppen- oder Teamebene und der organisationalen Ebene stattfinden, damit ein dialogischer Umgang und eine Bewusstheit über den Umgang miteinander wachsen kann.
Berufsverbände sind in diesem Zusammenhang gefordert, die Professionalisierungsschritte zu befördern und den Sinn und Zweck der «Beratungsprofession» in die Weite der Gesellschaft hinauszutragen. Damit dieser Prozess gelingt, braucht es enge Kooperationen mit anerkannten Ausbildungsinstituten. Es braucht neben den hohen Standards der Ausbildung kontinuierliche Weiterbildungen im Beratungsbereich, wie sie in Qualitätsstandards von Berufsverbänden auch abgebildet sind.
Gerade weil Professionen weder durch den Markt noch durch Bürokratien angemessen kontrolliert werden können[3], braucht es kollegiale Selbstkontrolle in regelmässigen Intervisionstreffen und auch eine eigene Berufsethik[4], die Beratungspersonen hilft, in einem anspruchsvoller werdenden Umfeld Orientierung zu bekommen und im Sinne der reflexiven Moderne, eigene Reflexionsprozesse wach zu halten.
Mit dem Aufbau und der Durchführung der Höheren Fachprüfung zum Supervisor*in-Coach und Organisationsberater*in haben der bso zusammen mit drei weiteren Verbänden einen wichtigen Beitrag zur Etablierung der Beratungsprofession leisten können.
Die Aufgabe der Berufsverbände ist also eine doppelte Aufgabe. Einerseits mit berufspolitischem Engagement und qualitativ hochstehenden Angeboten und Kooperationen den — durchaus offenen — Professionalisierungsprozess am Laufen zu halten. Andererseits den Profis der Beratung in einer von politischen, klimatischen und technologischen Eruptionen durcheinandergewirbelten Gesellschaft eine starke Position zu geben, damit sich auch machtvolle Klient*innen vertrauensvoll auf Beratung einlassen können.
Ein Beitrag von Jean-Paul Munsch
Vorstandspräsident bso
Literatur
1 Bock, P. (2020): Der entstörte Mensch. Wie wir uns und die Welt verändern. München: Droemer.
[1] Kühl, S. (2018): Sich selber leise loben. Kompetenzen darstellen ohne zu irritieren. In: bso Journal, 1, 8-11 (11).
[2] Vgl. Beck, U./Giddens, A./Lash, S. (1996): Reflexive Modernisierung. Suhrkamp: Frankfurt a/M.
[3] Stock, Manfred (2006): Zwischen Organisation und Profession. Das neue Modell der Hochschulsteuerung in soziologischer Perspektive. Die Hochschule – Journal für Wissenschaft und Bildung, 15 (2).
[4] Der bso ist daran seine Ethikrichtlinien zu überarbeiten und veranstaltet zum Thema «Ethik der Beratung» am 6. November 2020 in Zürich eine Tagung.